Der Sonnenspeicher die Geschichte zweier Waisen von M. Prischwin mit Illustrationen von E. Ratschew

gebrauchsspuren, einband an den kanten bestoßen, papiergebräunte seiten und schnitt. O-Titel: Kladovaja solnca in einem Dorfe im Kreis Pereslaw-Saleskij, in der Nähe eines Moores, das Irrmoor genannt wird, lebten zwei Kinder, die keine Eltern mehr hatten. Die Mutter war krank geworden und gestorben und der Vater war im Kriege gefallen.Wir wohnten in diesem Dorfe, und unser Haus lag dicht neben dem Hause, in dem die Kinder lebten. Natürlich bemühten wir uns gemeinsam mit den anderen Nachbarn, den Kindern zu helfen, wo wir nur konnten. Es waren liebe Kinder. Nastja war wie ein goldenes Hühnchen auf hohen Beinen. Ihr Haar war nicht hell noch dunkel. Es leuchtete wie reines Gold, und die Sommersprossen auf dem Gesichtchen waren so groß wie Goldmünzen. Es waren ihrer so viele, daß sie kaum noch Platz hatten; sie liefen über das ganze Gesicht, nur das Näschen war ohne Flecke und ragte in die Höhe wie ein kleiner Papagei. Mitrascha war zwei Jahre jünger als seine Schwester. Er war etwas über zehn Jahre alt, klein, aber stämmig, mit einer hohen Stirn und einem breiten Hinterkopf. Er war ein kräftiger und eigensinniger Junge. Die Lehrer in der Schule nannten ihn, wenn sie unter sich waren, lächelnd , .Däumlingsbauer".Der Däumlingsbauer hatte, genau wie Nastja, das Gesicht voller Sommersprossen, und sein fleckenloses Näschen lugte, wie bei der Schwester, wie ein kleiner Papagei in die Welt hinaus.Die Kinder hatten von den Eltern eine ganze Landwirtschaft geerbt: ein Bauernhaus, die Kuh Morgenrot, ein Kälbchen, Töchterchen genannt, die Ziege Meckmeck, Hühner, den goldenen Hahn Peter, das Ferkelchen Grunz und Schafe, die keinen Namen hatten.Mit diesem Reichtum aber hatten die armen Kinder auch die Sorge um all diese Lebewesen geerbt. Doch mit viel größeren Sorgen wurden ja unsere Kinder während der schweren Jahre des Großen Vaterländischen Krieges fertig! Zu Anfang kamen den Kindern ihre entfernten Verwandten zu Hilfe und auch wir, wie wir schon sagten, die Nachbarn.Aber sehr bald hatten die klugen und einträchtig miteinander lebenden Geschwister alles gelernt und begannen, ein schönes Leben zu führen.Es waren sehr fleißige Kinder! Wenn sie Zeit hatten, beteiligten sie sich auch an der gemeinschaftlichen Arbeit. Ihre Näschen waren auf den Kolchosfeldem und Wiesen zu sehen, auf dem Viehhof: es waren kecke Näschen.Obgleich wir neu zugezogen waren, kannten wir jedes Haus im Dorf. Deshalb können wir auch sagen, daß es kein einziges Haus gab, in dem so einträchtig gelebt und gearbeitet wurde wie in dem unserer Freunde. Nastja stand genau wie die verstorbene Mutter lange vor Sonnenaufgang schon in der Morgendämmerung, beim Klang des Hirtenhomes, auf. Sie trieb mit der Rute in der Hand ihre Herde zur Weide hinaus und eilte wieder zurück ins Haus. Aber sie legte sich nicht mehr schlafen, sondern heizte den Herd, schälte Kartoffeln, bereitete das Essen vor und arbeitete unentwegt in ihrer Wirtschaft bis in die tiefe Nacht.Mitrascha hatte beim Vater gelernt, wie man Holzgefäße, kleine Fässer, Kübel und Bottiche macht. Er besaß einen Hobel, einen Schlichthobel, der zweimal so lang war wie er selbst; damit glättete er ein Brettchen nach dem anderen, stellte sie aneinander und befestigte sie mit einem hölzernen oder eisernen Ring zusammen. Da die Kinder eine Kuh hatten, kannten sie keine Not und brauchten nicht für Geld auf dem Markt ihre Holzgefäße verkaufen; aber guten Bekannten erwiesen sie gern einen Dienst. Der eine brauchte eine Schüssel für den Waschtisch, der andere eine kleine Tonne für Regenwasser, der dritte einen Bottich zum Einlegen der Gurken oder Pilze, ein anderer wiederum nur eine hübsch gezackte Blumenkiste für das Haus. Er tat ihnen den Gefallen und bekam manchen Gegendienst dafür. Doch lag außer der Böttcherarbeit die ganze Landwirtschaft auf seinen Schultern und auch die gesellschaftliche Arbeit. Er besuchte alle Versammlungen, bemüht, die Sorgen der Gemeinde zu verstehen, und begriff wahrscheinlich auch so manches.Es war nur gut, daß Nastja zwei Jahre älter war als der Bruder, sonst würde er sich vielzuviel eingebildet haben, und sie würden nicht in Freundschaft und Eintracht miteinander gelebt haben. Manchmal erinnert er sich, wie der Vater früher die Mutter belehrt hatte, und es kam ihm in den Sinn, den Vater nachzuahmen. Er begann, seine Schwester Nastja zu belehren. Aber das Schwesterchen hörte kaum hin. Es stand da und lächelte. Da fing der Däumlingsbauer an, sich zu ärgern, sich aufzuplustem, wobei er hochnäsig immer sagte: "So etwas!""Was plusterst du dich denn auf?" erwiderte ihm die Schwester."So etwas!" ärgerte sich der Bruder. "Du plusterst dich doch selbst auf, Nastja.""Ich? Nein, du!""So etwas!"Nachdem sie auf diese Weise den streitlustigen Bruder noch ein Weilchen geärgert hatte, strich sie ihm über den Kopf, und sobald die kleine Hand der Schwester seinen breiten Hinterkopf berührte, verflog der väterliche Übermut des Hausherrn. "Komm, wir wollen zusammen jäten!" sagte die Schwester. Und der Bruder jätete die Gurken, hackte die Rüben oder setzte Kartoffeln.Ja, es war für alle sehr schwer in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges. So schwer war das Leben wahrscheinlich noch nie auf der Welt gewesen. Und auch die Kinder mußten viel Sorgen, Unglück und Kummer tragen. Aber ihre Freundschaft überwand alles, sie lebten gut und einträchtig miteinander. Und wir können wieder mit Bestimmtheit sagen: Im ganzen Dorf lebte niemand in solcher Eintracht wie Mitrascha und Nastja Weselkin. Wir glauben, daß der Kummer um die Eltern die beiden Waisen so eng miteinander verbunden hatte."Auszüge aus dem Buch

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