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»Kulturhistoriker, Nationalökonom, * 29.10.1853 Neumarkt Bezirk Breslau, † 13.11.1923 Berlin. (evangelisch) Zu den wenigen Historikern, die es vermochten, in einer Epoche größter stofflicher Ausdehnung und fachlicher Spezialisierung der Geschichtswissenschaft noch aus einem großen Impuls universaler Art zu leben und zu wirken, gehört Gothein. Er wuchs in enger Berührung mit Heimat und Volkstum in den Jahren der Erfüllung des deutschen Einheitstraumes auf. Aber er suchte sich, obwohl Preußens Größe für ihn ein unantastbarer Glaubensartikel blieb, die Einheit der Nation in erster Linie aus ihrem geistigen Schicksal zu erschließen. In Dilthey fand er in Breslau einen geistesverwandten Lehrer. Zu Burckhardt zog es ihn geistig hin, und als sein verehrender Jünger bekannte er sich in der Vorrede seines eigenen Beitrags zur Erforschung der Renaissance in dem Buche über ›Die Kulturentwicklung Süditaliens‹ (1886). Während seine Jugend von der schlesischen Heimat, ihrer Natur und Kultur geprägt worden war, hat ihn sein späteres Leben mit dem deutschen Südwesten aufs engste verbunden. Die kulturhistorische Erzählung aufgrund eigener präziser und tiefgründiger Quellenerforschung war Gotheins persönlichstes Talent und eigenste Leistung. Er hat sich zu dieser Darstellungsform mit Ausdauer ausgebildet und dabei das Höchste von sich verlangt, in dem Bewußtsein, daß ›die Befähigung zur einfachen vollendeten Schilderung weit schwerer erworben wird als die der scharfsinnigen Kritik und der geistreichen Reflexion‹. Seine frühesten Arbeiten, in Heidelberg 1873–75 durchgeführt, standen unter dem historischen Einfluß von Erdmannsdörffer, dem national-ökonomischen von Knies. Sie verbanden wirtschaftsgeschichtliche und geistesgeschichtliche Forschung, wie schon die Breslauer Promotionsarbeit ›Über den gemeinen Pfennig auf dem Reichstag zu Worms‹ (1875) und mehr noch die 1878 folgende Schrift ›Politische und Religiöse Volksbewegungen vor der Reformation‹ zeigen. Gothein hat die Kunst seiner kritischen Erzählweise in dem ersten Hauptwerk, der ›Kulturentwicklung Süditaliens in Einzeldarstellungen‹ (1886), weiter entwickelt und sie später in dem ersten Bande der ›Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes‹ (1892), der die Städte- und Gewerbegeschichte behandelt, zur Vollendung gebracht. Er war als Privatdozent der Geschichte von Breslau nach Straßburg übergesiedelt und erhielt 1884 eine Berufung auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie an der TH Karlsruhe. 1890 wurde er nach Bonn berufen, wo er als Berater industrieller Führer an Rhein und Ruhr eine beispiellos umfangreiche Kenntnis der deutschen Wirtschaft erwarb und in seinen Vorlesungen wie in den Ausbildungskursen für die Attachés des Auswärtigen Amts auch außerhalb der Universität eine hervorragende Stelle in jener volkswirtschaftlichen Ausbildung einnahm, die zugleich auf historischer und theoretischer Analyse wie auf praktischer Anschauung beruht hat. Seit 1913 war er Vorsitzender der Badischen Historischen Kommission, die ihn mit der Arbeit über die Besiedlung des Schwarzwaldes und die Erwerbstätigkeit seiner Bevölkerung beauftragt hatte, aus der das große Werk über die Geschichte der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung des Schwarzwaldes und der ihn umgebenden Landschaften hervorging. 1905 war er einem Rufe nach Heidelberg gefolgt, nachdem er sich schon intensiv mit agrarpolitischen und industriegeschichtlichen Studien im Rheinland beschäftigt hatte. Aus ihnen ging 1916 die Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Köln hervor, die, wie auch andere Arbeiten, sich auf die Erforschung des 19. Jahrhunderts konzentriert. Mit seiner Analyse der Wirtschaftsgeschichte dieses Jahrhunderts hat er Vorbilder geschaffen, die zeigen, wie bedeutsam die historische Erschließung von Quellen als Voraussetzung jeder Gesamtdarstellung ist. Inzwischen hatte Gothein schon 1883 damit begonnen, die Wirksamkeit des Jesuitenordens in dem christlich-sozialen Staat der Jesuiten in Paraguay zu untersuchen, und eine kleinere Studie über ›Ignatius von Loyola‹ (1885) bildete den Vorläufer des großen Buches über Ignatius und auch der systematischen Gesamtdarstellung von ›Staat und Gesellschaft im Zeitalter der Gegenreformation‹ (in: F. von Bezold, Staat und Gesellschaft der neueren Zeit, 1908). Er war ein unermüdlicher Leser und Beherrscher der historischen Quellen sowohl der spanischen Kulturgeschichte als der Geschichte Venedigs neben seiner eingehenden Kenntnis der deutschen Kulturgeschichte. Aus dem Briefwechsel mit seiner selbst geistig ungewöhnlich regsamen und schriftstellerisch produktiven Frau geht seine tiefe Einsicht in die Geschichte der Kultur|und Kunst Großbritanniens hervor. Schließlich hat er, von seiner universalhistorischen Gesinnung getragen, auch an der Entwicklung der Soziologie als synoptischer Erforschung von Wesen und Gestalt der menschlichen Gesellschaft mitgewirkt, wie der Artikel ›Gesellschaft und Gesellschaftswissenschaft"" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften 1909 und der Beitrag ›Über einige soziologische Grundfragen‹ in der Erinnerungsgabe für Max Weber bezeugen. Die Forschungsabsicht der Kultursoziologie mußte ihm, der schon 1898 in der Kampfschrift ›Die Aufgaben der Kulturgeschichte‹ gegenüber Dietrich Schäfer seinen Standpunkt nachdrücklich vertreten hatte, entgegenkommen. Gothein war als Lehrer, Forscher und Gutachter bis zu seinem Tode unermüdlich tätig und hat durch Wort und Schrift eine außerordentliche Wirkung erzielt. Das ausgedehnte Wissen seines Alters, die Leichtigkeit und der Glanz seiner Rede gaben ihm eine besondere Eignung zu öffentlicher Wirksamkeit. Schon in Bonn hatte er sich an der Gründung der Kölner Handelshochschule im Auftrage Gustav Mevissens beteiligt. Von Heidelberg aus wirkte er für die Gründung und den Ausbau der Handelshochschule in Mannheim. Seinen Beruf als Nationalökonom verstand er als Verpflichtung zur fördernden Beteiligung an der Entwicklung der Wirtschaft selbst. 1919 trat er in die Badische verfassunggebende Versammlung ein. Sein Liberalismus war getragen von dem vollen Gehalt jener aus dem Goetheschen Zeitalter stammenden Bildungswelt, in der er noch aufgewachsen war.« Bergsträßer, Arnold, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 654-656 »Nationalökonom, * 10.2.1892 Frankfurt/Main, † 17.5.1974 Veytaux/Genfer See bei Montreux (Kanton Vaud). (jüdisch) S. besuchte 1901–10 das Goethe-Gymnasium in Frankfurt/M., anschließend studierte er in Heidelberg, München und Berlin Nationalökonomie und Jurisprudenz, daneben auch Philosophie, Kunst- und Literaturgeschichte. 1913 wurde er in Heidelberg bei Alfred Weber zum Dr. phil. promoviert (Die wirtschaftl. Entwicklung v. Alaska u. Yukon Territory, Ein Btr. z. Gesch. u. Theorie d. Konzentrationsbewegung). Nach dem Kriegsdienst seit 1914 und schwerer Verwundung 1918 wurde er noch im selben Jahr Referent in der politischen Abteilung der dt. Gesandtschaft in Bern, verließ jedoch den Auswärtigen Dienst 1919 zugunsten einer akademischen Laufbahn: 1920 habilitierte er sich in Heidelberg mit der staatspolitischen Studie ›Piaton und die griech. Utopie‹ (1921). 1924 wurde S. ao. Professor in Heidelberg, 1927 lehrte er als Gastprofessor in Kiel. Seit 1927 bis zu seiner Emeritierung 1962 wirkte er in der Nachfolge von Julius Landmann als o. Professor für Nationalökonomie an der Univ. Basel (Rektor 1961/62). 1928–37 Präsident des Staatlichen Einigungsamtes der Stadt Basel, machte er sich auch in der regionalen Praxis durch erfolgreiche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen verdient. Unter den Schriften S.s hat seine ›Geschichte der Volkswirtschaftslehre‹ (1923, 1967 u.d.T. Polit. Ök., Gesch. d. wirtsch.pol. Ideen v. Piaton bis z. Gegenwart) die größte Nachwirkung, da S. hier erstmals nicht nur Dogmen- und Geistesgeschichte, sondern auch Kulturgeschichte schrieb. In der Tradition von Alexis de Toqueville, Friedrich List, Karl Marx und beeinflußt von Max und Alfred Weber plädierte er für eine historisch, soziologisch und philosophisch ausgerichtete, wirklichkeitsnahe politische Ökonomie (›anschauliche Theorie‹). Damit richtete er sich gegen die Rezeption der amerik.-engl. Neoklassik im dt. Sprachgebiet nach 1945. S. arbeitete kontinuierlich auch über währungstheoretische und internationale währungspolitische Fragen; seine ursprünglich umstrittenen Prognosen und Forderungen nach einem ›Alignement der Währungen‹ wurden durch die Entwicklung der Weltwährungspolitik schließlich bestätigt. Bereits Ende der 1940er Jahre setzte er sich mit den Fragen einer europ. Währungsunion auseinander und forderte als deren Voraussetzung eine Harmonisierung der europ. Wirtschafts-, Verkehrs-, Sozial- und Bildungspolitik. S. vertrat, v.a. in Fragen der Währungspolitik, auch keynesianische Positionen. Er gilt als einer der bedeutendsten Kritiker des Ordoliberalismus, besonders Wilhelm Röpkes (1899–1966). 1925 war er Initiator und Mitbegründer der (alten) ›Friedrich List-Gesellschaft‹ (bis 1935) wie auch 1954 der neuen ›List-Gesellschaft‹ (Schriftführer bis 1972), ferner Mitherausgeber der 10bändigen Gesamtausgabe der Schriften, Reden und Briefe von Friedrich List. 1947 rief er die internationale Zeitschrift für Sozialwissenschaften ›Kyklos‹ auf genossenschaftlicher Basis ins Leben. Im engen Verbund mit der Univ. Basel und der List-Gesellschaft gründete S. 1959 die ›Prognos‹, ein nach wie vor bestehendes Beratungsunternehmen zur Verknüpfung von Wirtschaftswissenschaft und Praxis. Zu S.s Schülern zählen u.a. Garl Christian v. Weizsäcker (* 1938) und René Frey (* 1939). S. war als Übersetzer von Schriften Piatons tätig und hatte intensive Kontakte zu Stefan George (1868–1933), dessen Kreis er zeitweilig angehörte.« Föllmi, Anton, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 372–373 »Nationalökonom, * 10.2.1892 Frankfurt/Main, † 17.5.1974 Veytaux/Genfer See bei Montreux (Kanton Vaud). (jüdisch) S. besuchte 1901–10 das Goethe-Gymnasium in Frankfurt/M., anschließend studierte er in Heidelberg, München und Berlin Nationalökonomie und Jurisprudenz, daneben auch Philosophie, Kunst- und Literaturgeschichte. 1913 wurde er in Heidelberg bei Alfred Weber zum Dr. phil. promoviert (Die wirtschaftl. Entwicklung v. Alaska u. Yukon Territory, Ein Btr. z. Gesch. u. Theorie d. Konzentrationsbewegung). Nach dem Kriegsdienst seit 1914 und schwerer Verwundung 1918 wurde er noch im selben Jahr Referent in der politischen Abteilung der dt. Gesandtschaft in Bern, verließ jedoch den Auswärtigen Dienst 1919 zugunsten einer akademischen Laufbahn: 1920 habilitierte er sich in Heidelberg mit der staatspolitischen Studie ›Piaton und die griech. Utopie‹ (1921). 1924 wurde S. ao. Professor in Heidelberg, 1927 lehrte er als Gastprofessor in Kiel. Seit 1927 bis zu seiner Emeritierung 1962 wirkte er in der Nachfolge von Julius Landmann als o. Professor für Nationalökonomie an der Univ. Basel (Rektor 1961/62). 1928–37 Präsident des Staatlichen Einigungsamtes der Stadt Basel, machte er sich auch in der regionalen Praxis durch erfolgreiche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen verdient. Unter den Schriften S.s hat seine ›Geschichte der Volkswirtschaftslehre‹ (1923, 1967 u.d.T. Polit. Ök., Gesch. d. wirtsch.pol. Ideen v. Piaton bis z. Gegenwart) die größte Nachwirkung, da S. hier erstmals nicht nur Dogmen- und Geistesgeschichte, sondern auch Kulturgeschichte schrieb. In der Tradition von Alexis de Toqueville, Friedrich List, Karl Marx und beeinflußt von Max und Alfred Weber plädierte er für eine historisch, soziologisch und philosophisch ausgerichtete, wirklichkeitsnahe politische Ökonomie (›anschauliche Theorie‹). Damit richtete er sich gegen die Rezeption der amerik.-engl. Neoklassik im dt. Sprachgebiet nach 1945. S. arbeitete kontinuierlich auch über währungstheoretische und internationale währungspolitische Fragen; seine ursprünglich umstrittenen Prognosen und Forderungen nach einem ›Alignement der Währungen‹ wurden durch die Entwicklung der Weltwährungspolitik schließlich bestätigt. Bereits Ende der 1940er Jahre setzte er sich mit den Fragen einer europ. Währungsunion auseinander und forderte als deren Voraussetzung eine Harmonisierung der europ. Wirtschafts-, Verkehrs-, Sozial- und Bildungspolitik. S. vertrat, v.a. in Fragen der Währungspolitik, auch keynesianische Positionen. Er gilt als einer der bedeutendsten Kritiker des Ordoliberalismus, besonders Wilhelm Röpkes (1899–1966). 1925 war er Initiator und Mitbegründer der (alten) ›Friedrich List-Gesellschaft‹ (bis 1935) wie auch 1954 der neuen ›List-Gesellschaft‹ (Schriftführer bis 1972), ferner Mitherausgeber der 10bändigen Gesamtausgabe der Schriften, Reden und Briefe von Friedrich List. 1947 rief er die internationale Zeitschrift für Sozialwissenschaften ›Kyklos‹ auf genossenschaftlicher Basis ins Leben. Im engen Verbund mit der Univ. Basel und der List-Gesellschaft gründete S. 1959 die ›Prognos‹, ein nach wie vor bestehendes Beratungsunternehmen zur Verknüpfung von Wirtschaftswissenschaft und Praxis. Zu S.s Schülern zählen u.a. Garl Christian v. Weizsäcker (* 1938) und René Frey (* 1939). S. war als Übersetzer von Schriften Piatons tätig und hatte intensive Kontakte zu Stefan George (1868–1933), dessen Kreis er zeitweilig angehörte.« Föllmi, Anton, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 372–373