Gerhard Rühm. Zeichnungen aus dem Bestand der Galerie.

(48) S.; illustriert; 31 cm; geheftet. Gutes Ex.; Einband etwas berieben u. m. kl. Randläsur. - hand- und körperzeichnungen / "hand-zeichnungen" nenne ich im wörtlichen sinn Zeichnungen, bei deren herstellung die linke hand für die zeichnende rechte als organische, also selbstbewegliche Schablone figuriert (man denke in diesem Zusammenhang an das altbekannte handschattenspiel, das ausschließlich auf darstellungs- und aus-drucksgesten der menschlichen hand beruht), die umrißlinien können sich dabei verschieben, verdichten, von der hand weggleiten, gegen sie anrennen, aber auch bloß zarte berührungen andeuten, wodurch die Zeichnung differenzierte ausdruckscharaktere gewinnt, durch verstellen der posierenden hand, wobei sich die zeichenspuren überlagern, werden die liniengebilde mehrdeutig und können zu neuen physiognomischen akzentuierungen anregen, die inhalte - sofern man bei bloßen anspielungen auf gegenständliches überhaupt von inhalten sprechen kann - werden transparent, die Zeichnung kann schließlich verschiedenes bedeuten (alles ändert ja, je nach betrachtungsweise, die be-deutung). wo titel gegeben oder eine reihe von Zeichnungen, versehen mit einer mehr oder weniger storyhaften legende, zu einem zyklus zusammengefaßt sind, wird das imaginationsvermögen des betrachters auf besondere weise provoziert, so ist eine neue art von "bilder-büchern" entstanden, durch Wendungen und rutscher auf dem blatt hinterläßt die hand, bei benutzung eines weichen bleistifts, tonige wischspuren, die der fertigen Zeichnung zusätzliche optische reize verleihen. in den "körper-zeichnungen" wird diese methode auf andere körperteile oder den ganzen körper, nun meist eines gegenübers, ausgedehnt - die "körperzeichnung" ist gewissermaßen eine direkte form der "aktzeichnung". das haptische moment am zeichenvorgang, ursprünglich von primärer bedeutung, erscheint hier sozusagen thematisiert, die umzeichnung einer gestalt, die üblicherweise distanziert den perspektivischen täuschungen des auges folgt, orientiert sich am konkreten Objekt, reagiert unmittelbar auf die Oberflächenbeschaffenheit des körpers; so zeigt der strich etwa an, ob er sich am widerstand der knochen reiben konnte, ob er an muskeln oder weichere fleischpartien geriet oder sich an elastischen geweben (brüste) verfeinern mußte, um deformationen zu vermeiden, es kann schließlich zu einem sinnlichen zusammenwirken, zu einer art dialog zwischen modell und Zeichner kommen, wenn die Stellung des modells sich spontan oder gelenkt verändert, haltungen sich nun ihrerseits zu gesten steigern, Verschiebungen in widerstrebende, eigenwillige, verführende oder einfach nachgebende bewegungen umschlagen, die Zeichnung als versuch derfixierung einer stationären konstellation, wird zur eiligen notation eines Prozesses, die die konturen des körpers mit den spuren seiner bewegung zu einem Ornament verstrickt, das eine neue realitätsebene suggeriert. gerhard rühm (Vorwort) // Gerhard Rühm (* 12. Februar 1930 in Wien) ist ein österreichischer Schriftsteller, Komponist und bildender Künstler.Seit Anfang der 50er Jahre produzierte er Lautgedichte, Sprechtexte, visuelle Poesie, Photomontagen und Buchobjekte. Er ist Mitgründer der Wiener Gruppe (mit Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener) und auch Herausgeber der gleichnamigen Anthologie. Anreger für seine Kunst waren u.a. August Stramm, Kurt Schwitters, Gertrude Stein, Carl Einstein und Paul Scheerbart. Von 1972 bis 1996 war er Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und von 1978 bis 1982 Präsident der Grazer Autorenversammlung. Rühms Arbeiten sind im Grenzbereich von Musik, Sprache, Gestik und Visuellem angesiedelt. Seine Hör-Produktionen sind herausragende Beispiele für das Neue Hörspiel und die Akustische Kunst. Während eines Aufenthalts im Libanon beschäftigte er sich mit arabischer Musik.

Zeichnung; Bildende Kunst