Das große Bilderlexikon der Mode - Vom Altertum zur Gegenwart Gertrud Oheim mit 1036 Fotos von Jan Splichal

leinen etwas fleckig, papiergebräunte seiten. "..die verschiedenen Formen der menschlichen Bekleidung waren immer schon ein charakteristischer Ausdruck für den Lebensstil einer Epoche. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Für das Verständnis der modischen Einfälle -und Auswüchse - unserer Zeit kann ein Rückblick in die Vergangenheit daher nicht nur lehrreich, sondern auch oft recht amüsant sein. Gerade aus dem Altertum sind uns aber nur sehr wenige Kleidungsstücke und modische Accessoires erhalten geblieben. Wer sich mit diesem Gebiet der Kulturgeschichte näher beschäftigen will, ist auf Werke der bildenden Kunst angewiesen. Besser, als es alle theoretischen Abhandlungen vermöchten, vermittelt uns daher ein »Bilderlexikon« wie das hier vorliegende einen anschaulichen Eindruck von der Wandelbarkeit des menschlichen Geschmacks.Dieser Band wurde in Prag von drei fachkundigen Damen zusammengestellt: Wie konnte es auch anders sein-gilt doch die Beschäftigung mit allem, was in den Bereich der Mode fällt, als eine Domäne der Frauen. Außerdem haben sich nicht nur die verantwortliche Autorin, Frau Dr. Ludmila Kyba-lovä, sondern auch Frau Milena Lama-rovä und Frau Olga Herbenovä an der Karlsuniversität in Prag speziell mit Kunstgeschichte befaßt. Sie waren also geradezu prädestiniert dafür, ein solches Buch zu betreuen. Für den deutschen Leser ist dabei besonders interessant, daß viele der abgebildeten Werke - der Herkunft der Autorinnen entsprechend - aus osteuropäischen Museen stammen und daher bei uns noch weitgehend unbekannt sind. Aber es ist ein eigenartiges Phänomen: Mode wird heute vor allem für die Damen gemacht, doch ihre Schöpfer sind meist Männer. Um dieser Tatsache nun auch bei unserem Buch gerecht zu werden, hat die deutsche Bearbeitung ein ebenfalls fachkundiger Herr übernom-men: Joachim Wachtel kennt sich nicht nur in der Mode vergangener Epochen aus, sondern verfolgt auch besonders interessiert die verschiedenartigen modischen Strömungen der Gegenwart.Nach einer Einleitung, die sich mit »Wesen und Wirkung der Mode« befaßt, wird im ersten Teil die historische Entwicklung in den einzelnen Ländern und Zeiten dargestellt. Der zweite Teil behandelt in ähnlich konzipierten Kapiteln den »Formwandel modischer Einzelteile und Accessoires«. Das umfangreiche Bildmaterial enthält Werke der Plastik, Malerei und Kleinkunst aus dem Ägypten der Pharaonen, Babylon, Griechenland, Rom, Byzanz und aus allen Ländern Europas vom Mittelalter bis zur Gegenwart.wenn ich die Seiten dieses Buches aufschlage, dann hebt sich der Vorhang für ein faszinierendes Schauspiel: das große Welttheater Mode. Was langst vergangen, in Staub zerfallen ist, einst aber Augen entzückte und Herzen bewegte, mit diesen Bildern betritt es noch einmal die Szene, wird Gestait, erhalt Leben und Farbe und berichtet von der uralten Sehnsucht des Menschen, sich zu schmücken und schön zu sein.Das Leben, ein Traum auch hier, so will es mir scheinen. Ein Traum von nie erreichter Vollkommenheit, über die Jahrtausende geträumt und immer wieder genährt durch die ruhelose, nie endende Hoffnung des Menschen auf die magische Wirkung des Neuen. Denn das Neue, das noch nie Dagewesene, ist ja die Seele, die Essenz der Mode, so oft sie sich in Einzelheiten wiederholen mag. Ihre immerwährende Veränderung scheint ihr einziges bleibendes Merkmal zu sein. So folgt im großen Welttheater der Mode Szene auf Szene, Verwandlung auf Verwandlung, und der Mensch wird nicht müde, das Spiel der Mode mitzuspielen, sei es heiter oder würdevoll, anmutig oder skurril, zweckvoll oder töricht. Bewußt oder unbewußt identifiziert er sich mit den Idealgestalten des jeweiligen Modespiels. Wer wollte ihm das verübeln, da ihm diese Idealgestalten Schönheit und Wohlgestalt, ja, wenn auch entgegen aller Vernunft, oft sogar ewige Jugend vorgaukeln?Manchmal stelle ich mir die Frage: Braucht der Mensch die Mode oder braucht die Mode den Menschen? Immer wieder komme ich zu dem Resultat, daß wir uns gegenseitig brauchen und also aufeinander angewiesen sind. Gewiß, wir heute Lebenden haben es gut. Noch nie war die Mode so tolerant, noch nie hat sie dem einzelnen im Rahmen bestimmter grundlegender Normen so viel Freiheit gelassen, seiner Individualität und seinem ganz persönlichem Geschmacksideal Ausdruck zu geben, wie in unseren Tagen. Aber völlig außerhalb ihrer vom Zeitgeist geprägten Normen kann sich kein vernünftiger Mensch stellen, es sei denn, er wäre ein wirkliches Original oder jemand, der um jeden Preis revoltieren will. Wir anderen aber ob wir wollen oder nicht, können uns der Mode nicht entziehen. Wir dürfen ihr, wenn sie zu tyrannisch ist, mehr oder weniger entschieden entgegentreten, wir werden ihr, je nach Alter und Persönlichkeit, Konzessionen machen, Kompromisse mit ihr schließen, sie korrigieren oder ihr ein Schnippchen schlagen. Aber sie ist nun einmal da und verlangt ihr Recht. Sie formt n`cht nur unsere Kleidung und unseren Schmuck, unsere Wohnungen und Gärten, unsere Autos, unsere Urlaubsreisen. Sie prägt, uns selber oft unbewußt, auch unser Gesicht, unser Lächeln, unsere Sprache, unseren Gang und sogar unsere Träume.Welch eine Macht also ist die Mode, auch wenn sie sich tolerant gibt! Welche Gefahr auch, wenn man Ihr Spiel nicht richtig versteht! Sie zeigt uns das Wunschbild unserer Zeit, sagt uns aber nicht, ob unser eigener Typ sich auf dieses Wunschbild einformen läßt. Sie sagt uns nicht daß wir vielleicht nicht so gertenschlank sind, nicht so hohe, gerade Beine haben wie die die Mode vorführenden Mannequins auf dem Laufsteg, daß unsere Proportionen nicht gerade geeignet sind für ein großzügiges Dekollete oder das , , Knie im Wind" von heute. Sie verschweigt uns, daß wir ganz entgegen unserer eigenen Meinung eher dem sportlich-sachlichen Typ zuneigen als dem eleganten - ja, unser Typ, was ist das eigentlich? Unser personlicher Typ ist ganz einfach die Summe unseres Wesens und unserer äußeren Erscheinung. Beides richtig einzuschätzen, erfordert ein gut Teil Selbsterkenntnis und Selbstkritik, und weil sowohl Selbsterkenntnis wie Selbstkritik sehr schwer zu üben sind und der Mensch im allgemeinen viel lieber zeigt, was er sein mochte, als was er wirklich ist, ergeben sich so viele Fehleinschätzungen auch in der Mode und so manches Mißverständnis über das, was man tragen kann und was man nicht tragen sollte. Die große Kunst besteht darin, dem jev/eiligen Modetyp das zu entnehmen, was dem eigenen Typ entspricht oder entgegenkommt. Der Verleger und Publizist Ernst Heimeran hat einmal als wertvollen Helfer für dieses , , Erkenne dich selbst" eine gute Kunstgeschichte bezeichnet. ..Blättere jede Frau ein solches Bilderwerk einmal darauf hin durch", so sagte er, "welche Portraits oder Gestalten sie sich als verwandt empfindet, wo sie innerliche und äußerliche Ähnlichkeiten spürt. Das kann womöglich eine ägyptische Konigin oder eine Defregger-Gebirgsbauerin sein! Sie soll sich nun gewiß nicht als Nofretete kleiden. Aber soviel wird sie vielleicht sehen: Ihrem Typ stehen Kopftucher ausgezeichnet. Hiermit hat sie eine grundsatzliche Einsicht gewonnen, in der sie keine Mode mehr schwankend machen kann."Was für eine Fundgrube dürfte bei solchen Selbstkontrollen das vorliegende Buch sein mit seinen Hunderten von Bildern aus allen Epochen der Mode! Was je der Mensch als Modeschopfer ersann mit seinem untrüglichen Gespür für alle offenen und geheimen Wunschtraume seiner Welt, seiner Generation, das geht hier über die Buhne in dem jeweils gültigen Mit` teilungsmedium der Zeit, ob das nun ein Relief, eine Wandmalerei, eine Plastik oder eine Buchminiatur, ein Gemälde, ein Modekupfer, eine Karikatur oder ein modernes Foto ist. Der erste Teil des Buches stellt die historische Entwicklung der Mode aller Zeiten und Länder dar. Dabei wird oft auf in Deutschland noch wenig bekanntes Material aus osteuropaischen Ländern zurückgegriffen. Der zweite Teil ist, so umfassend das bei dem gegebenen Umfang des Buches auf diesem schier unerschöpflichen Gebiet möglich ist, der Entwicklung modischer* Einzelteile und Accessoires gewidmet, beschäftigt sich also mit Frisur und Barttracht, Wäsche und Schuhwerk, einzelnen Kleiderteilen wie Ärmel oder Rock oder Krawatte, mit Schmuck und vielem anderen mehr. Er bietet damit gleichzeitig eine instruktive Auswahl aus dem Riesen-Vokabular der modischen Fachausdrücke. Man muß sie sich oft in Spezialwerken zusammensuchen, hier gewinnt man mit Hilfe eines ausführlichen Registers, das auch das Bildmaterial einbezieht, schnell einen guten Überblick. Vor allem soll, wie könnte es bei einem Werk über die Mode auch anders sein, das Auge angesprochen werden. Doch ergänzen die jedem Kapite1 vorangestellten fundierten Einleitungen und die prägnanten Bildunterschriften den optischen Eindruck aufs glücklichste.Das Ganze ist also eine grandiose Modenschau und ein großartiger Spiegel für das "Erkenne dich selbst". Und, so meine ich, auch ein anschauliches Paradigma dafür, wie sehr Modegeschichte gleichzeitig Kultur- und Weltgeschichte ist und nicht zuletzt Geschichte des menschlichen Geistes mit allen seinen Regungen, seinen Wünschen, seiner Phantasie wie seiner Problematik.Natürlich ist die Betrachtung solcher historischer Bilder nur ein Weg, seinen eigenen modischen Typ herauszufinden. Es gibt noch viele andere. Aber alle basieren auf der harten Selbstprüfung als Mittel der Selbstgestaltung. Vor mir auf dem Schreibtisch steht ein schon etwas vergilbtes Foto: Ein kleines Madchen im blauen Matrosenkleid blickt ernsthaft auf den Beschauer. Ein anderes Foto steht daneben, das Bild der Mutter im hochgeschlossenen langen Kleid und dem riesigen Pleureusenhut der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Welche Fülle modischer Wandlungen ist, seitdem das kleine Madchen ein Matrosenkleid trug, im Laufe der inzwischen vergangenen Jahrzehnte an uns vorüber gerauscht! Der Humpelrock, das enge, kurze Tangokleid, der Bubikopf und alles andere zum Gar

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