August Sander "In der Photographie gibt es keine ungeklärten Schatten". [TEXT KYRILLISCH]

VII, 269 S., Einband leicht berieben. - Auch wenn die Landschaften und Städtebilder August Sanders in den letzten Jahren eine verstärkte, ihnen zweifellos gebührende Aufmerksamkeit erfahren haben, dann bleibt doch der gesellschaftlich bestimmte und beruflich charakterisierte Mensch das eigentliche Thema seiner Kunst. Annähernd einhundertfünfzig solcher Rollen- oder Berufsportraits versammelt daher diese Ausstellung, Bilder von Menschen, die uns, bei aller Faszination, in mancher Hinsicht fremd geworden sind. Zum einen mag dies daran liegen, daß das Gesellschaftsbild, das August Sander in seinen Arbeiten entwirft, heute, Mitte der neunziger Jahre, überholt erscheint, zum anderen aber hat sich, nach einem Dreivierteljahrhundert, auch unser Menschenbild gewandelt. Der selbstbewußte, in der festen sozialen Rolle der Portraitierten begründete Blick dieser Bauern, Handwerker, Intellektuellen ist uns fragwürdig geworden angesichts der permanenten Bedrohung des Menschen, die sich in den Bildmedien unserer Tage nur allzu deutlich spiegelt. Dokumentiert sich diese Gefährdung in den Schreckensbildern der Massenmedien, so nicht minder in der aktuellen Photokunst, die die Autonomie und Integrität des Subjekts, die letztlich die inhaltliche Begründung der Gattung Portrait darstellt, einer strengen Revision unterzieht. Dies geht so weit, daß Künstler speziell der jüngeren Photographengeneration das menschliche Abbild in seine Fragmente auflösen, in Bruchstücke, die sich zu keiner Ganzheit mehr zusammenfügen lassen. Was bleibt, sind rätselhafte Details, wie jene Finger- und Fußnägel, die Patrick Tosani photographiert, oder jene bizarren Körper-Fragment-Collagen Hannah Villigers, um nur einige, willkürlich ausgewählte Beispiele anzuführen. Sie belegen gleichwohl die These, daß das "Bildnis aus dem Zentrum der künstlerischen Arbeit verschwunden ist", daß der Mensch auch in der Photographie nicht mehr ungebrochen repräsentiert und als ungefährdet dargestellt werden kann.

Sander, August